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Signorina Rossi di Lea Kramer SZ

 

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/erfrischung-dieser-mann-macht-schnee-eis-im-hirschgarten-1.3645470

 

Signor Rossi bereitet seinen Eisblock vor. Rechts: Altes Eisen und trotzdem ist Rossis „Triciclo“ ziemlich wendig. Foto: Sigi Müller

München - Zwei Mal kurz Läuten, langsam eine Kurve fahren. Erste Haltestelle: Elefantenspielplatz. Und ganz wichtig: Das Winken nicht vergessen! Als Eismann – Pardon, Eisfrau – sollte man nicht zu zurückhaltend sein.

 

Signor Rossi, mein Ausbilder und seit zwölf Jahren Profi am Eisblock im Hirschgarten, berichtet von seiner Arbeitsmoral: "Ich wollte etwas machen, bei dem ich mit Menschen in Kontakt komme", sagt er. Eine Gastronomie im Freien sollte es sein, die Tradition mit Moderne verbindet, Jung und Alt begeistert und ein bisserl italienisches Flair nach München bringt.

 

Gabrio Rossi stammt aus Florenz, doch die üblichen kulinarischen Errungenschaften seines Heimatlandes passten nicht richtig in sein Konzept des geselligen Verkaufens. Für Pizza braucht man einen heißen Ofen, andere Speisen muss man wegwerfen, wenn man nicht alle verkauft. Schwierig.

Nach etwas Nachdenken hatte Rossi 2004 eine Eingebung: Eis. Eis wollte er verkaufen. Aber kein Milcheis, sonder Eis-Eis. Denn: Herr Rossi sieht das tiefsinnig. Er sucht keinen maximalen Profit, er wirbt für Entschleunigung.
"Es hieß einmal: ,Die Maschinen werden uns befreien.’ Sind wir nun befreiter? Arbeiten wir weniger? Sind die Menschen nicht mehr gestresst?", fragt er und setzt sich auf eine der grünen Bänke neben seinen Verkaufsstand. Memo an mich selbst: Philosophieren und Eisverkaufen vertragen sich ausgezeichnet.


Acht Sorten Eis reichen, sagt der fahrende Eishändler überzeugt
Eine Antwort bleibt er schuldig, zwischenzeitlich kommt ein kleines Mädchen an den Wagen, ein Dreiradl aus den 40er Jahren, das Signor Rossi verrostet aus einer italienischen Scheune gerettet hat. Das ist eine andere Geschichte. Für später. Wir haben Zeit.


Erst ist das Mädchen dran. Es entscheidet sich für Erdbeergeschmack, wie die meisten Kinder während meines Arbeitstags. Fragola, erinnere ich, heißt das auf Italienisch. Rossi gibt mir etwas Nachhilfe in seiner Muttersprache, die ich einst in der Oberstufe am Gymnasium gelernt habe. Wir unterhalten uns über Norditalien und, dass Eismann Rossi eigentlich Grundschullehrer ist. Nach dem Studium hat ihn die Abenteuerlust gepackt. Er reiste, wanderte nach Amerika aus, gründete eine Familie, kam wieder zurück. Aber das erzählt er später. Wir müssen uns nicht beeilen.
Fragola ist eine von acht Sorten, die der Eishändler als "Schnee-Eis" anbietet. "Das reicht", findet Rossi. Neumodischen Kreationen wie Leberkas-Eis kann er wenig abgewinnen.

Schnee-Eis kennt hier kaum jemand
Den Namen für sein Produkt hat der 67-Jährige erfunden, nachdem die Deutschen mit "Granita" nichts anfangen konnten. "In Deutschland ist diese Form des Eismachens wenig bekannt. Meines Wissens bin ich in München der Einzige, der so ein Eis anbietet", sagt er. Dabei hätten schon die Menschen in der Antike Schnee von den Bergen geholt und ihn mit Frucht und Honig gemischt. Auch in Asien sei Schnee-Eis bekannt, bei den Japanern zum Beispiel als "Kakigori". Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Wir haben Zeit.
Jetzt kommt mein erster Einsatz als Eisfrau. Ich soll ein "Granita" zubereiten. Mein erstes Schnee-Eis. Zwei junge Frauen wollen sich in der Nachmittagshitze abkühlen. Mit einer Zange holt Signor Rossi den Eisblock aus der Truhe seines Radls. Er hat selbst ausgetüftelt, wie das Eis darin an heißen Tagen stundenlang kühl bleibt. Die Außenseiten der Kiste hat er mit Zitronen bemalt, denn der Eismann ist im Hauptberuf Künstler.
Im Winter Bildhauer, im Sommer auf dem Lastenradl unterwegs
Gemeinsam mit seiner Frau Rosa wohnt er im Fünfseenland. Dort hat er ein Atelier und stellt seine Holz-, und Stahl- aus. Damit er den historischen Eiswagen nicht täglich in einen Transporter laden muss, hat er ihn bei einem Freund in Neuhausen untergestellt. Der betreibt übrigens eine kleine Privatbrauerei und würde sein Bier gern ausschenken. Eine Geschichte für später. Es ist noch Zeit.
Die jungen Frauen vor dem Eiswagen entscheiden sich für Himbeere (Lampone) und Melone. Der Eisblock sitzt inzwischen fest auf zwei gezackten Schienen. Ich bekomme den Eisschaber in die Hand gedrückt. Er ist aus Metall und funktioniert ähnlich wie ein Holzhobel. Mit leichtem Druck wird das Speisewerkzeug über den Eisblock gezogen. Zug um Zug werden so kleine Eisflocken vom klaren Quader geraspelt. Im Innern des Schabers werden sie aufgefangen.

Auf Eis-Entscheidungen wird auch mal länger gewartet
Ist das Fach voll, kann der Schnee ganz leicht in die bereitgestellten Becher gekippt werden. Danach schütte ich ein wenig Fruchtsirup über das Eis, die Prozedur beginnt von Neuem. Etwa drei Hobelvorgänge braucht es, bis ein kleines Schnee-Eis fertig ist. Es kostet drei Euro.
Eine große Portion gibt es um einen Euro mehr. Da darf man sich dann zwei Geschmackssorten aussuchen. Nur welche? Ein Bub, der vor Kurzem mit dem Radl angehalten hat, steht vor dieser schweren Entscheidung. "Was passt zu Mango?", fragt er nach minutenlangem Grübeln. Wir haben ihn natürlich nicht gehetzt. "Kokos", antwortet der Eishändler, "Kokos ist meine Lieblingssorte, die passt eigentlich immer."
An einem guten Tag gehen schon mal 200 Eis über die Theke. "Durchschnittlich verkaufe ich aber eher 80 Stück", sagt Rossi. Heute ist ein mäßiger Tag. Ein Fest auf einer Wiese nebenan zieht Kunden ab. Auf dem Festgelände dürfte der fahrende Eismann zwar verkaufen, "es wird aber nicht so gerne gesehen", sagt er.
Mit den Leuten im Park will Rossi lieber ins Gespräch kommen und nicht streiten. Seine Verkaufsgenehmigung gelte für den gesamten Park, vom alten Karussell sei er aber schon mal weggeschickt worden. "Ich hatte mir das bildlich vorgestellt: der alte Eiswagen neben dem alten Fahrgeschäft.


Im Englischen Garten wird er gestoppt: von der Polizei
Irgendwie fand ich das schön und dachte, das passt." Inzwischen fährt Rossi eine Schleife am Biergarten vorbei, bimmelt mit der Glocke und wartet etwas abseits unter ein paar alten Bäumen auf Kundschaft. Ich rolle mit meinem Radl hinterher. Wir treffen einen Bekannten, der zum Sport durch den Park geht.
Warum verkauft Rossi eigentlich im Hirschgarten? "Einfach, weil es nah war", sagt er. Bis vor fünf Jahren hat er nämlich am Rotkreuzplatz gewohnt. Aber, es wäre nicht so, sagt er, als hätte er nicht auch andere Grünflächen als Verkaufsfläche ausgetestet – "ein wenig illegal". Anfangs habe er sonntags nicht verkaufen dürfen, "an einem heißen, sonnigen Sonntag bin ich trotzdem mit meinem Radl durch die Stadt losgefahren".
Im Englischen Garten sei er blöderweise durch den falschen Eingang geradelt, da habe man ihn gleich bemerkt. Kurz nachdem er seinen Wagen beim Eisbach aufgebaut hatte, sei die Polizei vorbeigekommen. "Zwei junge Polizisten auf zwei schönen großen Pferden." Die hätten ihn nach seiner Reisegenehmigung gefragt und darauf hingewiesen, dass der Englische Garten zwischen Monopteros und Tierklinik bereits von einem gewissen Gino mit Eis versorgt werde. Ein Stückchen weiter nördlich sei es an diesem Tag ausnahmsweise kein Problem, wenn Rossi sein Eis vom Block schabe.
Gesagt, getan. Ein zweites Mal ist er sein Eis im Englischen Garten aber nicht so einfach losgeworden. Ein dummer Zufall wollte es, dass er beim Einfahren in den Park von einem Mann angehalten wurde. "Es stellte sich heraus, dass er der Parkdirektor war", sagt Rossi verschmitzt. "Der wusste genau, dass ich die Sondergenehmigung für den Verkauf im Park nicht habe."
Und dann war da noch das Mal, als er sich hinter einer Hecke im Nymphenburger Park versteckte. Da hat ihm eine Frau von den historischen Neuhauser Eisernten im Kanal  erzählt. Aber das ist eine Geschichte für ein anderes Mal. Heute ist keine Zeit mehr.