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Eine Hommage an die Kindheit. Von Christian Lichtenegger

Eine Hommage an die Kindheit

Signor Rossi fährt seit beinahe 20 Jahren mit seinem Rad durch den Hirschgarten und verkauft Schnee-Eis. Ein Gespräch über leuchtende Kinderaugen, Lebensträume und dem großen Glück. 

Die Augen der kleinen Esma funkeln, als sie vor dem bunten Dreirad mit dem roten Schirm steht. Heute wolle sie Granatapfel probieren, sagt sie aufgeregt. Was danach folgt, ist in ihren Augen pure Magie. Signor Rossi hebt den Eisblock vorsichtig mit einer Zange aus dem Inneren des Wagens und legt ihn auf eine Arbeitsfläche. Anschließend holt er einen Hobel und beginnt, Eis vom Eisblock abzuschaben, das er dann in einen Becher füllt. Danach kommt ein Spritzer Sirup auf das Eis, dann noch einmal Eis und abschließend erneut Sirup. Es geht Gabrio Rossi um die Liebe zum Detail. „Ich bin der Gegenentwurf zum slush ice aus der Maschine“, sagt er lachend. 

Das Mädchen gehöre zu seiner Stammkundschaft wie viele Menschen hier im Hirschgarten, dem Park im Westen der Stadt. „Manchmal kommen auch Kinder und richten Grüße von ihren Eltern aus, die als Kind schon Schnee-Eis bei mir gekauft haben. Da wird mein Herz ganz beschwingt“, gesteht Signor Rossi. Seit 2007 dreht er von März bis Oktober seine Runden im Park und hat unzählige Portionen Schnee-Eis verkauft. Wobei es ihm bei der Idee nie um den großen Reichtum ging. „Ich unterhalte mich gerne mit den Menschen, will mehr über sie erfahren und sie mit einem Schnee-Eis glücklich machen“, sagt Rossi, der 1990 nach Deutschland kam. Seine Jugend verbrachte er in Florenz, wo er an guten Tagen genügend Kleingeld in der Tasche hatte, um bei einem fahrenden Eishändler ein Eis zu kaufen. Das eigene Glück, das er damals als Kind empfand, war Antrieb für die eigene Karriere als Eisverkäufer. 

Schnee-Eis (granita) ist die ursprünglichste Form von Speiseeis und wird seit ewiger Zeit in unterschiedlichen Kulturkreisen serviert. Früher wurde das Eis aus den Bergen ins Tal hinuntergefahren und, mit Obst gemischt, verzehrt. Seine Eisblöcke bezieht Signor Rossi von der Firma Ice-Team aus Ismaning, die das Eis mit Hilfe von Solarstrom herstellt. Gabrio Rossi ist gerne gereist und hat in seinem Leben vieles erfahren. Seine beiden erwachsenen Söhne leben in den USA, seine Adoptivtochter in München. Er teilt sein Leben mit Rosa Rossi, seiner Ehefrau, die den Menschen im Hirschgarten unter dem Spitznamen „Schneefrau“ ein Begriff ist „Man muss im Leben flexibel bleiben und sich immer wieder neu erfinden, ansonsten stagniert man irgendwann“, sagt Rossi. „Der Kontakt zu den Kindern hier im Park hält mich körperlich und mental fit“, fügt er zufrieden hinzu. Der Park ist für Gabrio Rossi wie eine Oase in der Hektik des Alltags. „Ich habe den Wagen zwei Monate lang restauriert und fahre das Rad ohne Motor. Jedes Teil ist handgemacht. Wenn etwas kaputt geht, repariere ich es selbst“, erzählt Signor Rossi. Es klingt wie eine Liebeserklärung an das Italien seiner Jugend. 

Die Idee, sein Geld als fahrender Eishändler zu verdienen, kam auf, als er einem Freund auf dem Münchner Streetlive Festival am Crépes-Stand half. „Es war ein anstrengender Tag, die Schlange riss einfach nicht ab, aber die Interaktion mit den Menschen hat mich begeistert“, berichtet Signor Rossi von damals. Ab diesem Zeitpunkt war klar, dass er ebenfalls etwas aus einem Wagen anbieten wollte. Dazu kamen dann die Erinnerungen an die eigene Jugend und er stellte sich die Frage: Weshalb nicht als fahrender Eishändler arbeiten? Als er dann in Italien ein altes Transport-Dreirad fand und dieses nach München in seine Werkstatt für die Restaurierung brachte, konnte das Projekt beginnen. „Ich hatte das Gefühl, dass sich nun nach und nach alle Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammenfügen“, gesteht Gabrio Rossi. 

Der fahrende Eismann zog die Blicke auf sich und war schon bald nicht mehr aus dem Hirschgarten wegzudenken. „Zu Beginn musste ich den Leuten noch erklären, was es mit dem Schnee-Eis auf sich hat und wo es herkommt. Nun kennt man mich hier und ich habe im Laufe der Jahre das Vertrauen der Menschen gewonnen“, sagt Signor Rossi stolz. 
Ans Aufhören will er noch nicht denken, wenn „jedoch eines Tages ein junger Mann oder eine junge Frau vor mir stehen, die diese Tradition mit ebenso viel Liebe weiterführen wollen, würde ich ihnen helfen und sie dazu ermutigen, ihren Weg zu gehen“, schmunzelt Rossi. 

Das Leben von Gabrio Rossi wirkt wie eine Fortsetzung des bekannten italienischen Animationsfilms „Herr Rossi sucht das Glück“ von 1976, bei dem er seinem Namensvetter einen Schritt voraus ist: Signor Rossi hat sein Glück durch seinen Beruf bereits gefunden. Und bis wirklich irgendwann der Ruhestand näher rückt, dreht Signor Rossi weiter seine Runden im Hirschgarten und lässt Kinderherzen höherschlagen. So wie das von Esma, die nach ihrem Eis noch einmal angelaufen kommt. „Ich freue mich schon, wenn wir uns morgen wieder sehen“, sagt sie glücklich, bevor sie unter den vielen anderen Kindern auf einem der Spielplätze im Hirschgarten verschwindet. 


Christian Lichtenegger






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